„Drittes Reich“ im Dorf

Zweifer und Kritiker

Wer es in der NS-Zeit wagte, Kritik am Regime zu äußern, Gesetze oder auch nur NS-Rituale zu missachten, musste mit Bestrafung oder Schikanen rechnen. Hierzu kam es häufig nach Denunzierung durch die Mitbürger – in der NS-Zeit weit verbreitet. Auch in Hennstedt sind derartige Fälle bekannt: Jemand erhielt keine Arbeitsaufträge mehr, sein Betrieb wurde von den Mitbürgern boykottiert, da er sich abfällig über Hitler geäußert hatte. Er zog dann aus Hennstedt fort. Wer den „deutschen Gruß“ verweigerte (dieser war zwar nicht gesetzlich vorgeschrieben, galt aber als verbindlich) oder die Hakenkreuzfahne nicht ehrte, wurde ermahnt und womöglich beschimpft. 
Auch Abhören der feindlichen Auslandssender war verboten, wurde aber nach Zeitzeugenaussage unter der Wolldecke dennoch gewagt. Das Verteilen von abgeworfenen Flugblättern „des Feindes“ konnte angezeigt werden. Hilfeleistungen für Kriegsgefangene waren ebenfalls sehr riskant. So war es dem Hennstedter Arzt verboten, Zwangsarbeiter in seiner Praxis zu behandeln. Er fühlte sich jedoch mehr seinem Hippokrates-Eid verpflichtet als dem NS-Gesetz und behandelte diese Patienten in seiner Laube. Wer sich nicht staatspolitisch konform verhielt, konnte nach 1933 nach dem sogenannten „Heimtücke-Gesetz“ (21.3.33 u. 20.12.34) angeklagt und vor einem Sondergericht im schlimmsten Fall zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden. Ein neues Gesetz wurde am 17.8.38 erlassen und stellte eine Steigerung des „Heimtücke-Gesetzes“ dar. Diese „Kriegssonderstrafrechtsverordnung“ (KSSVO) ermöglichte die Verhängung der Todesstrafe. Der Delinquent kam ab 1943 wegen „Wehrkraftzersetzung“ vor das Volksgericht.

Ein Zeitzeuge berichtete von einer persönlichen Begegnung mit dem Bürgermeister und Ortsgruppenleiter Sierks während eines Heimaturlaubs 1943: Der Ortsgruppenleiter fragte nach der Kriegssituation in der Sowjetunion und bekam zu hören, dass die Wehrmacht diesen Krieg dort verlieren würde. Er machte dem jungen Soldaten eindringlich klar, solche Äußerung nie wieder zu machen, „sonst käme er weg“. Unbedachte Äußerungen in der Öffentlichkeit konnten zur Anzeige führen. So machte ein Zeitzeuge als junger Marinesoldat Bemerkungen zu geplanten Verbesserungen an seinem Schiff – und zwar erzählte er dem Friseur davon. Dies hörte ein Marineoffizier, dessen Uniform bis dahin unter dem Frisierumhang verborgen war. Dieser drohte ihm wegen militärischen Geheimnisverrats Konsequenzen an, die aber der Vater des jungen Soldaten mit viel Mühe abwenden konnte. Sogar wenn Parteigenossen abfällige Bemerkungen über die Führung machten oder Zweifel am Endsieg äußerten, wurde auch bei ihnen keine Ausnahme gemacht. So wurde auch in Hennstedt verfahren: Ein Parteimitglied, Träger des goldenen Parteiabzeichens und Wirt des Parteilokals, äußerte sich im Jahre 1944 kritisch-negativ zum Kriegsverlauf – wie schon einige Male früher. Er sagte öffentlich (während einer Busfahrt zu seinem Begleiter), dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen sei. Dies hörte jemand mit, er wurde in Heide bei der Gestapo angezeigt und musste sich vor dem Volksgerichtshof in Berlin 1944 verantworten. Vom Richter wurde die Todesstrafe verhängt und auch vollstreckt. Dieses Geschehen löste in Hennstedt Bestürzung aus: Warum wurde vom Gericht über den alten Parteigenossen so unerbittlich geurteilt? Auch der Ortsgruppenleiter Sierks, der mit der Anzeige nichts zu tun hatte, äußerte im privaten Kreis seine Betroffenheit, konnte aber offiziell keine Kritik wagen. In Hennstedt war spätestens jetzt klar: Wer seinen Mund nicht halten kann, dem ergeht es schlecht. 

Dr. Wrede behandelt Zwangsarbeiter in seiner Laube

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NSDAP Ortsgruppenleiter Heinrich Sierks u.Mitarbeiter vor der Kirchspielschreiberei. Später war hier die Eiderapotheke, und heute befindet sich hier die Firma "Tortenparadies"

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