Wirtschaftsbetriebe und Berufe

Putzmacherin Katharina Will

Stellvertretend für alle in Hennstedt ausgestorbene Handwerksarten soll hier die der Putzmacherin von Katharina Will beschrieben werden. Sie hatte in der Mühlenstraße Nr. 6 ihr Geschäft. Heute wohnt ihre Enkelin Hella Rudolphsen in dem Haus, die auch Verfasserin nachstehenden Artikels ist:
Meine Großmutter Katharina Will geb. Thöming wurde 1860 in Linden geboren. Nach der Schulzeit erlernte sie in Heide den Beruf einer Putzmacherin (heute Hutmacherin). Im Jahre 1885 machte sie sich selbständig und eröffnete in Hennstedt in der Mühlenstraße Nr. 6 ein Putz- und Weißwaren-Geschäft.
Das Geschäft florierte; denn damals ‚trug eine Frau Hut“. Jeweils im Frühjahr und Herbst wurde von den Frauen ein neuer Hut gekauft oder der alte mit einer neuen Garnitur aufgefrischt. Dazu kam meine Großmuter als Putzmacherin in Aktion.
Die Filzhüte, die sie in Form von Stumpen vom Großhandel bezog, wurden durch Dämpfe geschickt in die gewünschte Form gebracht und anschließend mit Bändern, Schleiertüll, Spangen und künstlichen Blümchen verziert. Bereits getragene Hüte wurden gereinigt und mit neuem Schmuck versehen.
Um die Hüte bei Wind und Wetter halten zu können, befestigten die Trägerinnen sie mit einem feinen Hutgummiband oder mit einer schicken Hutnadel im Haar. 
Im Sommer trug man Strohhüte, die meine Großmutteraus einem feinen Material vorgefertigt geliefert bekam. Bevor die Garnierung der Hüte erfolgte, pinselte sie die Strohhüte mit einer Benzol-Lösung ein, damit sie dann glänzend aussahen.
Es stank bei uns im Haus immer nach Benzol oder Teer.
Auch Strohhüte für Herren, die überwiegend bei der Feldarbeit getragen wurden, verkaufte meine Großmutter. Außerdem war sie für den Brautschmuck zuständig. Die Brautkränze band sie aus echter Myrthe und steckte sie zusammen mit dem Schleier der Braut auf. Der Bräutigam erhielt ebenfalls ein Sträußchen aus Myrthe für seinen Anzug. Beim ‚Abtanzen’ des Brautschleiers um Mitternacht wurde dem Bräutigam eine bestickte Samtkappe aufgesetzt. 
Meine Großmutter hatte bald so viel zu tun, dass sie eine gelernte Helferin einstellen musste. Alles Material bezog sie von Großhändlern aus Flensburg oder Hamburg. Öfter im Jahr kamen die Vertreter der Firmen zu ihr und boten die neuesten Sachen an.
Nach der Eröffnung der Kleinbahn fuhr meine Großmutter auch selbst zum Einkaufen zu den Firmen.
Meine Großmutter hatte zwei Töchter: Meine Tante Toni war die ältere, hatte früh geheiratet und zog nach Büsum. Meine Mutter Elfriede kam mit 14 Jahren in ein Hotel nach Sonderburg (damals noch deutsch) in die Kochlehre. Als der 1. Weltkrieg bekann, kehrte sie wieder nach Haus und half ihrer Mutter im Geschäft und Haushalt. Im Jahre 1926 heiratete sie meinen Vater, den Friseurmeister Hugo Gehrts. Das Geschäftshaus wurde daraufhin umgebaut, sodass in einer Haushälfte ein Friseurladen eingerichtet werden konnte. Außerdem wurde der Hutladen vergrößert. 
Als meine Großmutter 1932 starb, führte meine Mutter das Geschäft weiter, bis ich es 1955 übernahm.
Jedoch die Zeit der Putzmacherei war vorbei. Geblieben waren der Verkauf von Handarbeiten, Wäsche, Mieder- und Kurzwaren.
Im Jahre 1985 konnte noch das 100 jährige Geschäftsjubiläum gefeiert werden.
Aber 1990 war Schluss! 

Geschäftshaus der Putzmacherin (Mühlenstraße 6) heute (umgebaut) Wohnhaus von Hella Rudolphsen links Katharina Will, Mitte Hella Rudolphsen, rechts Elfriede Gehrts geb. Will

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