Kriegsende

Kapitulation, Besatzung, Internierung

Von der Kapitulation erfuhren die Bewohner Norderdithmarschens offiziell  u. a. aus dem „Heider Anzeiger“. Dort hieß es: „Ab 5. Mai 8 Uhr deutscher Sommerzeit Waffenruhe gegenüber den Truppen des Feldmarschalls Montgomery“.39 Besonders wird zudem in dieser amtlichen Bekanntmachung die problematische Ernährungslage ausgeführt und darauf hingewiesen, dass „das Kartensystem (Lebensmittelkarten) unter allen Umständen bestehen bleiben muss“. Für Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung haben die Landräte, Oberbürgermeister und Polizeipräsidenten zu sorgen. Diese Teilkapitulation vor dem Westen betraf die Bereiche der Niederlande, Friesland einschließlich der west- und ostfriesischen Inseln, Helgoland, Schleswig-Holstein und Dänemark.

Die Gesamtkapitulation wurde am 8. Mai 1945 unterzeichnet. Nach dem 5. Mai besetzten die britischen Truppen nach und nach alle Ortschaften, in den größeren richteten sie Kommandaturen ein. So beschlagnahmten sie dafür in Hennstedt das alte Pastorat, auch andere große Häuser wurden von ihnen beansprucht. Die Hennstedter nahmen die Besatzung der Engländer gefasst auf. Es gab keinen Jubel, es gab aber auch keine Feindseligkeiten, die Bewohner fühlten sich weder befreit noch besiegt, sondern nahmen die neue Situation einfach zur Kenntnis. Erst nach und nach stellte sich ein Gefühl der Erleichterung ein, der NS-Zeit mit ihren Schikanen und Vorschriften entronnen zu sein, keine Angst mehr haben zu müssen, kriegerische Handlungen zu erleben, und so begegneten sie den Engländern aufmerksam – fast freundlich. Den Besatzungstruppen ihrerseits war ein Umgangsverbot mit den Deutschen verschrieben worden, das erst im Juli gelockert und im Oktober ganz aufgehoben wurde. Allerdings gab es von den Besatzern auch Anordnungen, die wehtaten: So mussten alle Waffen (auch Jagdwaffen), Ferngläser und Fotoapparate abgeliefert werden.

Die Ernährungslage der Deutschen hatte sich seit der Kapitulation verschlechtert. Das traf sicher auch auf die Hennstedter Bevölkerung zu, wenngleich die Landwirte und Gartenbesitzer es als Selbstversorger leichter hatten. Die Besatzer ordneten nun an, dass die landwirtschaftlichen Anbauflächen erweitert wurden: Der Kartoffelanbau wird verdoppelt, in Schrebergärten wird Gemüseanbau betrieben, und die Militärregierung erlaubt die Anlage neuer Kleingärten, die auch so in Hennstedt entstehen. Die kontrollierte Verteilung mit Lebensmittelkarten ist nach wie vor in Kraft. Verstöße gegen die Anordnungen werden streng bestraft, so riskiert man mit Schwarzschlachtungen eine Gefängnisstrafe. Das war auch in Hennstedt vorgekommen, schreckte aber einige Bauern nicht endgültig ab. Die Bevölkerung wird ermahnt, mit Heizmaterial sehr sparsam umzugehen, im Winter 45/46 sei „eine Versorgung mit Hausbrandkohle nicht zu erwarten“. 40  Es wird nun Holz gesammelt, Stubben werden gerodet, Torf wird gestochen (s. Zeitzeugenberichte). Man hat alle Hände voll zu tun, den Alltag zu bewältigen, und das alles in drangvoller Enge, denn die Häuser sind mit Evakuierten aus den Städten Kiel und Hamburg und später dann mit Flüchtlingen und Vertriebenen aus Pommern und Ostpreußen überbelegt. Hinzu kommt, dass durch den Abzug der Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter Arbeitskräfte in der Landwirtschaft fehlen und die Hofbesitzer mancherorts noch in Kriegsgefangenschaft sind. 
Handelt es sich um Gefangenschaft bei den Engländern, ergreifen einige Hennstedter(innen) die Gelegenheit, bei der Kommandatur einen Antrag zu stellen, mit dem die baldige Entlassung des Gefangenen erbeten wird, weil sonst die Ernährungslage der Familie und Mitarbeiter gefährdet sei. Diese Anträge wurden in den meisten Fällen vom Amtsvorsteher befürwortet, ob sie Erfolg hatten, war nicht zu ermitteln. In Schleswig-Holstein wurde ein Kontingent von 85 Personen monatlich festgesetzt, aber nur 70 Prozent davon durften ausgewählt werden.41 Die englischen Besatzer machen es sich nach der Kapitulation in erster Linie zur Aufgabe, die aus Dänemark, Norwegen und anderen Landesteilen nach Schleswig-Holstein strömenden Soldaten und Wehrmachtsverbände zu erfassen und zu entwaffnen, auch sollen untergetauchte Naziverbrecher entdeckt werden. Zu diesem Zweck richten sie zwei riesige Internierungsgebiete ein, eins davon umfasst die Region Eiderstedt und Dithmarschen. Dieses Gebiet hat den Vorteil, relativ dünn besiedelt zu sein, leicht abgeriegelt werden zu können und genügend Nahrungsmittel sicher zu stellen. Das andere Internierungslager entsteht in Ostholstein. Das Ziel der Internierung ist eine geordnete Entlassung. Im Internierungslager an der Westküste befinden sich mehr als 400.000 Soldaten, die in öffentlichen Gebäuden, Gastwirtschaften, auf Höfen, in Scheunen, Ställen und Zelten notdürftig untergebracht werden, sich aber selbst versorgen müssen. Für die Bevölkerung und die Soldaten gibt es einige Einschränkungen: Die Menschen können das „Sperrgebiet G“ nur mit besonderer Genehmigung der britischen Militärbehörde verlassen, landwirtschaftliche Flächen außerhalb können nicht bewirtschaftet werden, das Baden in der Eider ist verboten. Immerhin wird der Arbeitskräftemangel auf den Höfen z. T. durch die freiwillige Mithilfe der Soldaten gemildert. Und die jungen Mädchen haben endlich Gelegenheit, wieder unbeschwert zu tanzen. Für die Musik und die Übertragung in mehrere Scheunen sorgen die Soldaten. Auch in anderer Form wird für Unterhaltung gesorgt. Auf dem Hof von P. Rief in Hennstedt werden Theateraufführungen und Gesangsvorträge organisiert, mit denen man anschließend auch in anderen Dörfern gastiert.42 Das Internierungsgebiet G wird zwischen Dezember 1945 und Januar 1946 aufgelöst.43