Hennstedter Zeitzeugen berichten

Gemeinschaften im Dorf

Viele berichten, dass sie in ihrer Kindheit und Jugendzeit so gut wie nie aus dem Dorf bzw. Kirchspiel herausgekommen waren. Sie hatten dazu auch nicht unbedingt das Bedürfnis, wurde ihnen vor Ort doch alles geboten, was man damals üblicherweise zum wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben benötigte bzw. für sich beanspruchte. 
In der Kirche als kulturellem Mittelpunkt waren zwei Pastoren - Pastor Thomsen und der spätere Propst Peters - lange engagiert und segensreich tätig.
Bei den Predigten bezog Pastor Thomsen meistens das praktische Alltagsleben oder aktuelle Vorkommnisse mit ein. Ihm konnte man dabei gut folgen. Die Predigten von Pastor Peters verstand man jedoch inhaltlich ‘nicht immer so richtig‘. Bemerkte er, dass seine ‚Schäfchen’ dabei nicht mehr so ganz aufmerksam waren, hob er seine Stimme, und es gab ein Donnerwetter. Dabei schlug er mit der Faust auf die Brüstung der Kanzel. 
Pastor Thomsen war in der Gemeinde besonders beliebt und engagierte sich zusätzlich für ‚weltliche‘ Veranstaltungen. Er organisierte zum Teil mit anderen Theateraufführungen, musikalische Darbietungen oder verschiedene Vorträge (Themenbeispiel ‚Darwin und Moses‘). Auch war er für lange Zeit Vereinsvorsitzender des Hennstedter Turnvereins.
Während Frau ‘Pastor‘ Peters u.a. Säuglingspflegekurse abhielt und am Abschlussabend auch ihr eigenes Kind gewickelt werden durfte, engagierte sich Frau ‘Pastor‘ Thomsen im sozialen Bereich und gründete den Unterstützungsverein für Frauen, die heutige Frauenhilfe.
Einige größere Jungen verdienten sich ein paar Groschen, indem sie während des Gottesdienstes den Blasebalg der Orgel traten, wobei der Organist bei Unaufmerksamkeit der Jungen während des Orgelspiels auch mal nach ‚ mehr Luft ‘ rufen musste. Andere Jungs bekamen bei Beerdigungen ein paar Münzen, wenn sie während der Trauerfeiern die Pferdegespanne am Friedhof halten durften, da für diese oft nicht genug Platz zum Anbinden an dem dafür vorgesehenen Balken vorhanden war. Voran ging zwischen den Jungen ein Wettlauf zu den noch unterwegs befindlichen Pferdegespannen, um als erste dort ihre Dienste anzubieten. Zahlreiche Vereine – allen voran die Vogelgilde (als ältester Verein), die Freiwillige Feuerwehr, der Hennstedter Männerturnverein (später Spiel- und Sportverein Hennstedt, sowie die Hennstedter Liedertafel steuerten mit ihren Veranstaltungen wesentlich zum gemeinschaftlichen und kulturellen Dorfleben bei. 
Da nicht jeder Dorfbewohner in der Vogelgilde aufgenommen wurde, hatten einige um 1920 ein Gegenstück dazu gegründet, das sich Luusgilde nannte. Von dieser hatte man aber bald nichts mehr gehört, so dass sie wohl eingegangen ist. Neben dem ‚Heider Anzeiger’ als Tageszeitung gab es den ‚Hennstedter Landboten‘‘, eine im Ort herausgegebene und gedruckte Zeitung, die zweimal wöchentlich erschien und neben Nachrichten über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auch Lokales und örtliche amtliche Bekanntmachungen veröffentlichte.
Während in einigen Gaststätten bereits ein elektrisches Klavier oder Grammophone die neuesten Gassenhauer (Hits) zum Besten gaben, kam 1925 mit dem Kino ein weiterer kulturtechnischer Fortschritt ins Dorf. Zunächst wurden dort noch Stummfilme gezeigt, die ein Klavierspieler vor Ort mit passender Musik begleitete. 
Mit den Tonfilmen kamen auch bald im Vorspann die Wochenschau, bei der das Neueste aus aller Welt in Kurzfassung gesehen werden konnte, und die Kinderfilme am Sonntagnachmittag. 
Nach der abendlichen Vorstellung am Sonntag wurden die Stühle beiseite geräumt. Dann nämlich folgte der ‚Sprudelball‘, bei dem bis Mitternacht getanzt und der Durst nur ohne Alkohol gelöscht werden durfte.
Einige Werbeanzeigen aus der hiesigen Geschäftswelt haben aus heutiger Sicht Unterhaltungswert; denn es wurden dort 'garnierte Damenhüte', Morgenschuhe oder Drogen (gemeint waren Drogerieartikel) angeboten. Andere Anzeigen geben uns Rätsel auf: Was sind z.B. Topfhüllen, Schwedenhülsen, Bleibepulver oder Lavallieres? 
Dass es im Ort sehr gesellig zuging und die Hennstedter zu feiern wussten, bewiesen nicht nur ca. 12 Gastwirtschaften (eine mit einer Kegelbahn), die hauptsächlich um die Kirche herum angesiedelt waren, sondern auch 3 Tanzlokale (Kaisersaal, Deutsches Haus und Lindenhof), die bei Tanzveranstaltungen stets ‚rappelvoll‘ waren. Da auch eine Bierbrauerei (auf Gut Apeldör) und mehrere Schnapsbrennereien in Hennstedt existierten, war man auch in dieser Hinsicht gut versorgt. 
Nach Wirtshausbesuchen war so mancher nicht mehr in der Lage, sein Pferdefuhrwerk wieder nach Hause zu lenken, was aber kein Problem war. Man platzierte ihn dann einfach auf den Kutschbock und rief den Pferden ein aufmunterndes ‚Hüh‘ zu, so dass diese sich brav in Bewegung setzten und ihren Herrn sicher nach Hause brachten. Bei ‚Promille-Problemen‘ den Pferden die Heimfahrt zu überlassen, scheint eine gängige Methode gewesen zu sein, fanden die Pferde doch stets in ihren Heimatstall zurück. 

aus ‚Hennstedter Landbote‘ Jahrgang 1905

dorf_bilder/Chronik-Hennstedt-60.jpg

Veranstaltungsanzeige aus: ‚Hennstedter Landbote‘, 1907

dorf_bilder/Chronik-Hennstedt-61.jpg

Veranstaltungsanzeige aus: ‚Hennstedter Landbote‘, 1907

dorf_bilder/Chronik-Hennstedt-61-2.jpg

Veranstaltungsanzeige aus: ‚Hennstedter Landbote‘, 1907

dorf_bilder/Chronik-Hennstedt-62.jpg

Hennstedter Landbote 1902

dorf_bilder/Chronik-Hennstedt-62-2.jpg

Kino- Werbeplakat

dorf_bilder/Chronik-Hennstedt-63.jpg

Kaisersaal (mit ausgestelltem Kinoprogramm)

dorf_bilder/Chronik-Hennstedt-64.jpg

Deutsches Haus

dorf_bilder/Chronik-Hennstedt-64-2.jpg

Lindenhof - Standort Ecke Kirchenstraße / Im Sack (im Zuge der Straßenverbreiterung abgerissen)

dorf_bilder/lindenhof.jpg