Der Schriftsteller Heiner Egge ist zwar kein gebürtiger Hennstedter, aber doch als Dithmarscher sehr bekannt und seit 2008 in unserem Ort ansässig.
Er schrieb mehrere interessante Werke, die viele Verbindungen zur Region und auch speziell zur Hennstedter Umgebung aufweisen: So besonders in dem Roman ”Der Eiderbote”, in dem die Marsch mit der Eider den Rahmen für eine Geschichte abgibt, in der auch Ähnlichkeiten zu Einheimischen ausgemacht werden können...
Das Leben und das Werk des Dichters Klaus Groth bereitet der Autor künstlerisch in ”Die Kajüte” auf; Heiner Egge war auch einige Jahre als Sekretär der Klaus-Groth-Gesellschaft in Heide tätig.
Besonders bekannt ist Heiner Egge auch durch sein Historien-Drama ”Sag dem König Gute Nacht”, das alle zwei Jahre beim Heider Marktfrieden aufgeführt wird.
Die Kolumnen ”Eiderdaus”, die in der DLZ und im Magazin Lüüd veröffentlicht wurden, stammen auch aus seiner Feder und nehmen meist in skurril-amüsanter Weise Begebenheiten oder Personen in den Fokus.
Sicher ist Heiner Egge auch weiterhin schöpferisch tätig und verarbeitet seine Inspirationen zu lesenswerten Werken.
Heiner Egge,Eiderdaus 165:
„Für die Chronik“
Es ist ja nichts Neues, dass sich das Landleben radikal verändert hat: Die Landwirtschaft kommt einem nur noch in Form von Überbreite entgegen, Fußgänger machen sich in den Dörfern schon seit langem verdächtig, alle sitzen wir grüßend in unseren Autos, die kleinen Läden schließen, die Gasthöfe stehen zum Verkauf und blättern ihre Farben über die verwaisten Bürgersteige. Oder sie werden, nachdem sie mehr als hundert Jahre in der Mitte des Dorfes standen, innerhalb von zwei Tagen abgerissen, zertrümmert und Containerweise entsorgt. So geschehen mit Tetens Gasthof gleich neben der Secunduskirche. Da wurde ganze Arbeit geleistet. Da blieb kein einziges Erinnerungsstück übrig. Oder doch? Ich steige noch einmal über die Trümmer. Hier war doch der Tresen, an dem ich viel zu selten saß, und hier der Tisch der Skatspieler. Aus dem Weg, da bitte, wir brauchen Platz! Die Planierraupe ist da. Staub hüllt mich plötzlich ein; ich kann mich gerade noch bücken und ein schon reichlich zerbeultes Blechschild aufheben. Geschlossene Gesellschaft steht darauf. Ich nehme es an mich.
Heute bin ich zu Fuß. Ein paar Neuigkeiten wehen über die Straßen. Der Dorfchronist kommt mir entgegen, aber zu spät; er wollte doch noch ein Foto machen.
Warten Sie ab, sage ich. Es gibt noch mehr Gelegenheiten.
Und wirklich, nächstes Jahr wird der Kaisersaal aufgegeben, gleich am Anfang der Mittelstraße, neben dem Gemeindehaus. Dabei ist doch alles noch da. „Alles komplett“, wie der Wirt immer wieder versichert und seine Wandschränke öffnet: Sahnetöpfchen, Salatteller, Fischbesteck, Suppentassen, Flache Teller, Pharisäerbecher. Im großen Saal kann man noch letzte Worte hören, oben auf der Bühne: Jonnys letzte Butterfahrt, Ein Matjes singt nicht, Bett mit Frühstück, Das Bad auf der Tenne, Das Tal der Suppen, De grote Knall. Theater, Theater. Das halbe Dorf spielte mit und feierte. Vergessene Girlanden winden sich wie Schlangen um die Säulen.
Auch der Plattenspieler funktioniert noch, der Tonarm: Vergessen, vergessen, vorbei, singt einer, von dem man gar nicht mehr weiß, ob er noch lebt.
Und wenn man erst die Empore betritt, steht man plötzlich vor dem Vorführgerät, fremd und groß wie ein unbekanntes Tier: „Achtung!“ ruft der Wirt, und der Film läuft ab.
Man traut seinen Augen kaum. Kino. Und auf der Leinwand ist alles schwarz und weiß und Edgar R. malt die Untertitel: Wer das Leben verstehen will, muss immer weiter erzählen…
Übernächstes Jahr soll die Dorfchronik dann ja auch endlich fertig werden; da steht dann alles drin. Erste Vorbestellungen werden schon angenommen, der Versand erfolgt kostenlos. Aber wer erzählt was?
Natürlich bestelle ich mir ein Exemplar, vielleicht sogar zwei, und wenn ich gerade nicht zu Hause sein sollte, legt es mir bitte vor die Tür.
Doch sonst geht es uns gut, wir hüten unsere Häuser, lassen uns, freigebig wie wir sind, an die Fernwärme anschließen, rechen das Laub zusammen, wickeln die Rosenstöcke ein. Es kommen die kalten Tage.
Im Dezember wird es früh dunkel, auch singen die Vögel nicht mehr.
Schweigend sieht das Dorf zu, was mit ihm geschieht, kauft weiterhin das Verpackte und lässt sich, computeranimiert, das neue Veranstaltungszentrum in der Mitte des Dorfes zeigen. Um Zuschüsse wird noch geworben.
Dezember 2013