Schleswig-Holstein von 1864 -1933
In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebten die Menschen in Schleswig-Holstein und damit auch in Dithmarschen einschneidende Veränderungen. Was die Machtverhältnisse betraf, mussten sie akzeptieren, nun eine preußische Provinz zu sein. Nach den Kriegen 1864 und 1866 verlor Dänemark die Herrschaft über Schleswig und Holstein, da die preußischen und österreichischen Truppen siegreich waren. Auch das Herzogtum Lauenburg kam im Zuge dieser Umwandlung zu Preußen.
In Dithmarschen wurden die neuen Gegebenheiten zunächst eher zurückhaltend aufgenommen. Zu sehr hing man im Denken der alten Bauernrepublik nach.
In den Itzehoer Nachrichten wurde berichtet: „Die Dithmarscher, stolz auf ihre alten Freiheiten und Taten ihrer Väter, haben fast Neigung, das übrige Holstein als Ausland zu betrachten; man kann sich daher nicht wundern, wenn sich dort häufiger als anderswo Abneigung gegen den Anschluss an Preußen findet“. 15
Erst nach dem Krieg 1870/71 gegen Frankreich und der daraus folgenden Reichsgründung war auch in dieser Region eine national geprägte Gesinnung spürbar. Die Politik Bismarcks fand Anerkennung, und der deutsche Kaiser wurde auch in Dithmarschen verehrt.
Innenpolitisch erfuhr S-H. einschneidende Veränderungen. Genannt seien hier u.a. die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. In Dithmarschen war man bisher aufgrund alter Privilegien davon befreit. Viele Betroffene wanderten daraufhin aus. 16
Ferner gab es Reformen im Steuersystem und besonders eine Neuordnung in den Kreis- und Gemeindeverwaltungen, die so den anderen preußischen Provinzen angeglichen wurden, allerdings wurden örtliche Besonderheiten berücksichtigt. So blieben die Kreise Norder- und Süderdithmarschen erhalten. Die vorhandenen Kirchspiele wurden politisch zu Kirchspielslandgemeinden aufgewertet.
Die zunächst skeptisch-ablehnende Haltung der Bevölkerung von Schleswig Holstein in der neuen Provinz Preußens schwand allmählich (wenn auch nie gänzlich!), und es setzte ein wirtschaftlicher Aufschwung ein. Dieser war verbunden mit der Erschließung des Landes im Rahmen der Verbesserung des Straßen- und Schienennetzes sowie der Wasserstraßen.
Das Straßennetz war von 1239 km im Jahr 1867 auf 4223 km im Jahr 1900 gewachsen, das Eisenbahnnetz von 610 km im Jahr 1867 auf 1697 km (1900) erweitert worden.17
Der Kaiser-Wilhelm-Kanal (der heutige Nord-Ostsee-Kanal) wurde 1895 fertiggestellt. Ende des Jahrhunderts gab es auch starke Verbesserungen durch die Mechanisierung (Lokomobile mit Dreschkasten) und durch den Einsatz von Kunstdünger. Hierdurch wurden die Bodenbearbeitung und die Ernteerträge auf der Geest wesentlich verbessert.
Viehzucht und Milchwirtschaft wurden systematischer betrieben. Fast in jedem Dorf entstanden Molkereien zur Verarbeitung der Milchprodukte. Man setzte auf den großen Höfen die landwirtschaftlichen Wanderarbeiter (die sogenannten Monarchen) ein. Trotzdem litten viele Menschen Not in Schleswig-Holstein. Dieses führte insbesondere in den Jahren 1881-1885 zu einer massiven Auswanderungswelle von fast 50.000 Menschen.
Der wirtschaftliche Aufschwung zeigte sich auch mit dem deutlichen Anstieg der Einwohnerzahlen in Schleswig-Holstein von 1867-1914. 18
1867 - 1.028.800
1885 - 1.147.000
1890 - 1.211.500
1914 - 1.699.000
Bevölkerungsentwicklung in Hennstedt von 1855-1925. 19
1855 - 948
1905 - 1399
1925 - 1574
Wohnten im Jahr 1867 noch rund 70 % der Bevölkerung auf dem Land, waren es 1900 nur noch ca. 47 %. Die Landbevölkerung sah bessere Lebensbedingungen in der Stadt, weil viele Arbeitsplätze auf dem Lande durch die Industrialisierung wegfielen. Ende des Jahrhunderts waren alle Teile des Landes von der Industrialisierung erfasst. Das hatte Auswirkungen auf die bis dahin gesellschaftliche Ordnung. Betroffen waren die städtischen und die dörfichen Bauweisen und die damit verbundenen Wohnverhältnisse. Auch die Forderungen im Hinblick auf Wissen und Fähigkeiten für die arbeitenden Menschen stiegen. Diese forderten einen verstärkten Ausbau des Schulwesens.
Nach der Vereinigung des Deutschen Reiches sprach man von einer ‚Gründerzeit’. Viele Betriebe wurden gegründet, und man durchlebte eine Hochkonjunktur.
Mitte der 1870er Jahre kam es dann aber zu einer ‚großen Depression’. Die Zahl der Unternehmen und die der Industriearbeitsplätze nahmen ab. Verbunden war dies mit einer erhöhten Arbeitslosigkeit und Armut.
Ab 1900 nahm die industrielle Entwicklung Fahrt auf. Insbesondere die Werften in Kiel benötigten viele Arbeiter, da die deutsche Flotte gewaltig ausgebaut wurde, um die Flottenpolitik des Deutschen Reiches zu realisieren.
Im Jahr 1914 waren es 30.000 20 Arbeiter, die hauptsächlich für die Marine tätig waren.
Auch politisch kam das Land in Bewegung. Im Jahr 1888 wurde ‚deutsch’ überall in Schleswig- Holstein (Nordschleswig) als Unterrichtssprache eingeführt. Damit entstand weiteres Konfliktpotential mit den dänischen Nordschleswigern.
Parteien und Wahlrecht
Insbesondere ab 1870 waren viele Veränderungen bei den Parteien festzustellen. Im Februar 1867 fanden die Wahlen zum Norddeutschen Reichstag statt.
Das zugestandene Wahlrecht erlaubte das erste Mal in der Geschichte Schleswig-Holsteins, dass es sich um allgemeine, freie, gleiche, geheime und direkte Wahlen handelt.
Nur Männer ab 25 Jahren durften wählen.
Die Konservativen und Freikonservativen fanden ihre Anhänger und Wähler vorwiegend bei den Großgrundbesitzern und den größeren Bauern. Weiterhin gab es die Nationalliberalen. Die Linksliberalen wurden hauptsächlich von kleinen Geschäftsleuten und Handwerkern (Fortschrittspartei, Freisinnig/Fortschrittliche Volkspartei) gewählt.
In der späteren Sozialdemokratischen Partei (SPD) fanden sich Fabrikarbeiter, Landarbeiter, kleine Handwerker und Gesellen.
Bis 1890 verfolgte man diese Gruppe (siehe auch Sozialistengesetz). Weiterhin waren Dänen (Nordschleswig) in dem Wahlkreis Hadersleben-Sonderburg vertreten.
Die Zentrumspartei trat ab 1893 bei den Reichstagswahlen auf.
Ein Überblick über die Reichstagswahlen (1871- 1912) kann der folgenden Tabelle entnommen werden. 21
In Schleswig-Holstein erreichten 1912 die linksoppositionellen Parteien (Fortschrittliche Volkspartei und SPD mit zusammen 69,6 %) eine überwiegende Mehrheit.
Die Soldaten- Krieger- und Veteranenvereine, veranstalteten schon lange vor Kriegsausbruch Kriegsfestspiele. Dabei wurden in lebenden Bildern Darstellungen aus der glorreichen Zeit von 1870/71 gezeigt.
Stein vor Friedenseiche