Nachkriegszeit

Wohnungssituation

Da man bereits durch die Unterbringung der Evakuierten in Privathäusern enger zusammenrücken musste, die britische Militärregierung einige größere Häuser im Dorf beanspruchte und von der Internierung der deutschen Soldaten in Dithmarschen auch Hennstedt betroffen war, ging die Wohnraumsituation mit dem steten Eintreffen neuer Flüchtlinge allmählich bis an die Grenzen der Belastbarkeit.
Das Landratsamt, das für die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge im Kreis zuständig war, beauftragte die Bürgermeister mit der Räumung von Zimmern in Privathäusern ihrer Dörfer. In einem Auszug eines Rundschreibens des Landrats des Kreises Norderdithmarschen an die Bürgermeister vom März 1945 heißt es:
„Mit erheblichen weiteren Zuweisungen von Flüchtlingen muss gerechnet werden. Bei der heutigen grossen Notlage kann es nicht verantwortet werden, wenn noch Haushaltungen vorhanden sind, die neben ihrem täglichen Wohnzimmer noch eine sogenannte ‚gute‘ Stube zur Verfügung haben. Ebensowenig ist es nicht zu verantworten, wenn Räume für an der Front stehende Söhne pp. verfügbar gehalten werden. Außerdem läßt sich hier und dort noch Raum freimachen, wenn Kinder im Elternschlafzimmer mit untergebracht werden“.
Trotz strenger und konsequenter Durchführung der Einquartierungsmaßnahmen – oftmals gegen den Willen der Hauseigentümer – waren die mit der Wohnraumbeschaffung Beauftragten gezwungen, zunächst noch viele zusätzliche Notunterkünfte zu schaffen, da man diesem starken und lang anhaltenden Zustrom der Flüchtlinge zunächst nicht anders Herr werden konnte.
Viele wurden deshalb zunächst in der Volksschule, im nun ausgedienten Heim der Landjahrmädel, im ‚Haus 100‘ (des späteren Aufbauzuges), in den Sälen und Baracken des ebenfalls ausgedienten Arbeitsdienstlagers untergebracht. Da auch diese Notunterkünfte noch nicht ausreichten, mussten zusätzlich Strohlager in Ställen und Scheunen der Bauernhöfe geschaffen werden. Einzelpersonen bekamen oft auf dem Dachboden einen mit Wolldecken abgeteilten Verschlag zugewiesen. 
Nach und nach begannen auch für sie die Zwangseinquartierungen in Privathäuser. Viele der in den Baracken des Lagers untergebrachten Flüchtlinge mussten allerdings noch über mehr als einem Jahrzehnt dort wohnen bleiben.
Flüchtlingsfamilien, die nicht selten aus 5-8 Personen bestanden, bekamen – der Not gehorchend – nur ein Zimmer zugewiesen. Dieses Zimmer war meistens Wohn- und Schlafzimmer, Küche, Waschküche, Trockenraum und Bad zugleich. Als ‚Bad‘ musste eine große Waschschüssel reichen, die auch für die große Wäsche benutzt wurde. Als Küchenersatz stellte man entweder eine primitive Kochgelegenheit (Brennhexe) ins Zimmer, oder der Kanonenofen, der ursprünglich nur zum Heizen vorgesehen war, wurde dazu verwendet. 
Bei vielen Unterkünften mussten Küchen und Toiletten sowohl von den Hauseigentümern als auch von den Flüchtlingen gemeinsam genutzt werden. Spannungen waren allein schon dadurch vorprogrammiert. 
Bis zu 15 Personen waren eine Zeitlang auf dem Bauernhof der Eltern einer Zeitzeugin untergebracht. Dort lebten neben ihrer Familie zwei Flüchtlingsfamilien und ein evakuiertes älteres Ehepaar und im Stallgebäude zusätzlich noch zwei ehemalige Zwangsarbeiter, die dringend für die Arbeit in der Landwirtschaft gebraucht wurden, da der Vater selbst noch abwesend war.
Eine andere Zeitzeugin kann sich daran erinnern, dass sie noch Jahre später zum Lesen immer auf die Toilette gegangen war - für sie der einzige Raum, in dem sie einmal allein sein und in Ruhe lesen konnte. 
Den Alltag schildern die ehemaligen Flüchtlinge recht unterschiedlich. Während viele von ihren Wirtsleuten immer wieder mit zusätzlichen Lebensmitteln versorgt wurden und ein gutes Verhältnis zwischen ihnen bestand, überwiegen die Erzählungen, in denen das Zusammenleben nicht immer harmonisch und die Stimmung oft gereizt war. Von Misstrauen über Verachtung bis hin zu Schikanen spannte sich der Bogen ihrer Erlebnisse. 
‚Man ließ uns spüren, dass man ‚nichts hatte und nichts war‘. So waren wir in der Schule besonders fleißig, einzig und allein um den anderen zu beweisen, dass wir auch ‚wer‘ waren und etwas konnten“ schildert eine ehemaliges Flüchtlingskind ihr damaliges Empfinden. 
Andere erzählen, dass sie stets nur durch den Stall und über eine steile Treppe in ihr Zimmer gehen durften, wobei sie sich als Kinder wegen der Dunkelheit immer davor gefürchtet hatten und ein anderer Zugang von vorne möglich gewesen wäre. Einer Flüchtlingsfamilie wurde sogar die Hälfte des rationierten Zuckers von der Wirtin gestohlen. Da ihr Zimmer nicht abschließbar war, konnten sie sich bei ihrer Abwesenheit weder vor Neugier noch Diebstahl schützen. Umgekehrt verhielt es sich bei einer anderen Einquartierung, in der die Toilette einfach vor ihnen verschlossen wurde. Der Wirtin ‚war es egal‘, wie sie damit zurechtkamen. 
Einem Gemeindevertretersitzungsprotokoll aus dem Jahre 1947 ist zu entnehmen, dass ein Hauseigentümer durch einen Bestechungsversuch eine Ausquartierung der bei ihm untergebrachten Flüchtlinge erreichen wollte. 
Wenn ein Grund für die negative Einstellung vieler Hiesiger zu den Flüchtlingen in der hier herrschenden katastrophalen Wohnungssituation zu suchen war, verursachte auch die Fremdheit der Flüchtlinge mit einer etwas anderen Lebensart und Sprache bei ihnen Misstrauen und Vorbehalte. Immer wieder wurden sie als ‚Polen‘ - wenn nicht sogar mit dem Schimpfwort ‚Pollacken‘ - bezeichnet, obwohl sie doch auch Deutsche waren.
 

Ähnlich wie hier im Barackenlager in der Meldorfer Straße in Heide mag es auch im Barackenlager in Hennstedt ausgesehen haben.

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