„Drittes Reich“ im Dorf

Über „Behinderte“

In der nationalsozialistischen Rassentheorie galten nur körperlich und geistig gesunde als „wertvoll“. Menschen, die dieser Norm nicht entsprachen, wurden als „entartet“ bezeichnet. Schon im Juli 1933 wurde ein Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses entwickelt (GZVEN), das mit Beginn des Jahrs 1934 in Kraft trat. Es war beabsichtigt, die gebärfähigen Frauen auf ihre Erbgesundheit hin zu untersuchen und bei negativem Befund zu sterilisieren. Es wurde ein Indikationskatalog erstellt, in dem folgende Krankheiten als „Erberkrankungen“ bezeichnet wurden: angeborener Schwachsinn, Schizophrenie, manisch-depressive Psychose, Epilepsie, Chorea Huntington, erbliche Blindheit, erbliche Taubheit, körperliches Fehlbildungssyndrom, Alkoholabhängigkeit. Mit dem GZVEN gab es eine juristische Handhabe, Menschen mit „Defekten“ durch Zwangssterilisierungen zeugungsunfähig zu machen. In Schleswig-Holstein sorgten verschiedene Institutionen für die Durchführung des Gesetzes, so insbesondere die Kreisgesundheitsämter, denen von den Amtsärzten als erbkrank geltende Patienten angezeigt wurden, womit das Verfahren zur Zwangssterilisation eingeleitet wurde.13 Im Jahre 1934 und von 1937 bis 1940 sind in Schleswig-Holstein ca. 4.400 Psychiatriepatienten und behinderte Menschen zwangssterilisiert worden, davon waren zwei Drittel in den größeren Städten und ein Drittel in den ländlichen Regionen betroffen. Auch im Umkreis von Hennstedt ist ein derartiger Fall bekannt. Nach dem Krieg konnte eine „Entschädigungszahlung“ erwirkt werden. Nach der Einführung der Zwangssterilisierungen bereitete die NS-Propaganda nun den Boden für die Tötung kranker und behinderter Menschen (Euthanasie).14 Sie wurde nie gesetzlich legitimiert; allerdings wurde eine Meldepflicht Behinderter eingeführt, und nun sorgten sich z. B. Eltern behinderter Kinder, was die Folge sein könnte. Das bewog ein Elternpaar in einem Nachbarort Hennstedts, ihr Kind während der Nazizeit versteckt zu halten. Zeitzeugen berichteten, dass in Hennstedt selbst eine Person, die „gemütskrank“ wurde, eines Tages in die Psychiatrie nach Schleswig kam. Später wurde deren Tod der Familie mitgeteilt, die bis heute an der Information über die Todesumstände zweifelt.15