Hennstedter Zeitzeugen berichten

Versorgungslage nach dem Krieg: Schwarzschlachten, Schwarzbrennen, Schwarzmarkt, Mangelwirtschaft

Versorgungslage nach dem Krieg
Mit dem Beginn des Krieges wurden Lebensmittel und Verbrauchsgüter rationiert, was für den Verbraucher bedeutete, dass er beim Einkauf stets eine Lebensmittelkarte vorweisen musste. Ohne diese gab es fast nichts zu kaufen. Das Reichsernährungsministerium hatte alles durchorganisiert und aus den Engpässen des 1. Weltkrieg gelernt. Die 1. Karte war die Ausweiskarte, die schon 1937 in Berlin gedruckt wurde. Es gab zum Beispiel Reichsbrotkarten,-fleischkarten, -fettkarten, -zuckerkarten, -eierkarten, -milchkarten, -kleiderkarten, Bezugscheine für Konserven, Trockengemüse, Marmelade oder Zucker, abgelagertes Brot (ist ergiebiger und bekömmlicher), Weihnachts-Sonderkarten, für Motoröl und Benzin, Futtermittelschein z.B. für Pferde, Zusatz und Lebensmittelkarten für Hochzeiten (3 Personen), Raucherkarten für Männer(M) und Frauen(F),die nur die Hälfte bekamen und ihre Ration an ihre Männer oder Söhnen an die Front schickten. Zum Ende des Krieges waren die Lebensmittelkarten wertvoller als Geld. Da Lebensmittelmarken zum Überleben kaum reichten und um sich ein bisschen mehr zu ‚gönnen‘, war Kreativität angesagt, die im Folgenden beschrieben wird.
Schwarzschlachten war streng verboten! Es durfte nur ein Schwein bis zu einem bestimmten Gewicht in einem festgesetzten Zeitraum geschlachtet werden. Um das von Amtswegen kontrollieren zu können, musste man diese Schlachtung auf der Kirchspielsschreiberei anmelden 
Da ein Schwein für die ganze Familie in der Regel nicht ausreichte, wurde oft zusätzlich ein zweites ohne Genehmigung geschlachtet. Die große Schwierigkeit bestand nun darin, dass möglichst keiner außerhalb der Familie dieses mitbekommen durfte, um eine evtl. Anzeige zu vermeiden. Meistens gab es für zufällige Zeugen eine Wurst o.ä. als Schweigegeld.
 Bei einer überraschenden Kontrolle wurden gerade noch rechtzeitig die Schweinehälften in den Betten und in einer Tischlerei das in Töpfen aufgefangene Blut in Särgen versteckt.
Zwei aufgedeckte Fälle von Schwarzschlachterei, in denen wohl ein bisschen zu unbekümmert mit dem Verbot umgegangen wurde, zogen jeweils zweijährige Gefängnisstrafen nach sich. 
Noch schwieriger und gefährlicher war es, Schnaps schwarz zu brennen. Zur Gefahr einer Anzeige kam noch, dass dabei eine erhöhte Brand- bzw. Explosionsgefahr bestand. Verbrennungen im Gesicht und an den Armen und auch Feuerausbrüche sind vorgekommen. Trotzdem war man das Risiko eingegangen, weil man doch bei Familienfesten zum Feiern ‚etwas in der Hand haben‘ wollte!
Der meist aus Zuckerrüben gebrannte Schnaps wurde oft mit Beerensaft ‚verfeinert‘ und war gleichzeitig eine beliebte Tauschware. Zu Tanzvergnügungen und sonstigen Feierlichkeiten wurde er mit Duldung des Wirtes, der dafür ein Korkengeld erhielt, in die Säle bzw. Wirtschaften mitgebracht und unter den Tischen deponiert. Dort stand dann lt. Augenzeugen manchmal ‚eine ganze Batterie‘ solcher Flaschen.
Da Heizmaterial auch knapp und der Nachkriegswinter 1946/47 besonders streng wurde, verschwand so mancher Alleebaum über Nacht.
Wie ein Lauffeuer ging es eines Tages durch Hennstedt, dass man sich aus der damals noch größeren Verschönerung einen Baum zum Verheizen holen durfte. Alles, was Axt und Säge hatte, machte sich auf, und in verhältnismäßig kurzer Zeit war der Wald in der Verschönerung abgeholzt. Die Erlaubnis zum Fällen schien jedoch nur ein Gerücht gewesen zu sein.  Als der zu der Zeit abwesende Ordnungshüter nach seiner Rückkehr davon erfuhr und sich ein Bild vor Ort machen wollte, sah er nur noch die Friedenseiche stehen, an die sich dann doch keiner herantraute. 
Auch der Tabakbezug war eingeschränkt und deren Anbau verboten. Deshalb pflanzte man ihn mitten im Getreidefeld an, so dass er von den Seiten aus nicht zu sehen war. Aufgefallen ist damals auch der vermehrte Anbau von Stangenbohnen, in denen die Tabakpflanzen so gut versteckt werden konnten.
Nach der Ernte wurden die großen Tabakblätter auf Schnüren aufgezogen und auf dem Dachboden zum Trocknen aufgehängt, um sie danach in der Brotschneidemaschine klein zu häckseln. Zur Geschmacksverbesserung wurde der Tabak manchmal mit Fliederbeersaft besprengt. Als Tabakersatz wurde auch einmal versucht, Kräutertee zu rauchen. Dabei hatte aber es so ‚streng‘ gerochen, dass es bei dem Versuch geblieben war.
Erlaubt waren dagegen mangels Mehl und Zucker die eigene Herstellung von Kartoffelmehl und Sirup aus Zuckerrüben, was ein ziemlicher ‚Schweinkram‘ war und wobei stets ein stark widerlich-süßer Geruch durchs Haus zog (besonders nach dem Überkochen). 
Kaffee-Ersatz war damals in einer Spezialpfanne geröstete Gerste (oder auch Eicheln), die aber nicht wirklich ein Ersatz waren!
Die noch im Krieg von den feindlichen Fliegern abgeworfenen, weil leeren Treibstofftanks aus Aluminium waren wertvoller Rohstoff. Sobald man sie seinerzeit vom Himmel heruntertrudeln sah, begann unter Lebensgefahr ein Wettlauf zum vermutlichen Aufprallort. Was konnte man aus dem Material an praktischen Gegenständen, die immer rarer wurden, alles machen! Kochtöpfe, Milchkannen und andere Küchenutensilien. Ja, sogar ein kleines Boot wurde daraus hergestellt! 

Schwarzmarkt
Da das inflationäre Geld nichts mehr wert war und es kaum etwas zu kaufen gab, wurde verbotenerweise mit Naturalien bezahlt bzw. Ware untereinander getauscht. Auch Dienstleistungen und Handwerkerrechnungen glich man so oder mit Gegenleistungen aus. „Es wurde geschoben (verbotener Handel), was nur ging! “, erinnert sich ein Zeitzeuge. 
Lebensmittel und dringend benötigte Gegenstände hatten einen hohen Wert, was an nachstehend aufgezählten, damals in Hennstedt getätigten Tauschgeschäften deutlich wird. Getauscht wurde
Schafswolle gegen 1 Kinderbett; Kleiderstoff für 1 Hochzeitskleid gegen 1 Schweinebacke; 
 Nähgarn gegen Milch oder Bücher; Butter oder 1 Brotmarke gegen 1 Wolldecke, von amerikanischen Verwandten geschickter Kaffee gegen 1 Konfirmationskleid; 1 Puppe gegen ein 1 Glas Gulasch, 1 Pfund geräucherten Speck gegen 1 Paket Kurzwaren, 1 Kanne Milch gegen eine Klavierstunde.
Im Schaufenster eines Textilladens (Tank) bot man Ware an, versehen mit einem anonymen Zettel, auf dem der Tauschwunsch notiert war. Da es sich bei dieser Ware um keine Lebensmittel oder verbotene ‚Schwarzmarktware‘ handelte, soll es funktioniert haben.
Weil viele nichts zu tauschen hatten, kamen auch Diebstähle vor. Heimlich wurden Kinder durch das enge Hühnerloch fremder Höfe geschickt, um ein paar Eier aus den Nestern zu holen, oder Kartoffeln nachts aus dem Acker gegraben und Kühe auf der Weide gemolken. Auch wenn die Eigentümer den Diebstahl bemerkten, wurde ein solcher Mundraub in der Regel nicht verfolgt, hatte man bezüglich der Not vieler ein Einsehen.
Bedenklicher wurde es allerdings, wenn auch frisch gepflanzte Kartoffeln wieder ausgegraben wurden. Deshalb hatte ein Bauer einmal versucht, Kartoffeldiebe mit einem auf dem Feld aufgestellten Hinweisschild mit der Aufschrift ‚Diebstähle werden angezeigt‘ abzuschrecken. Das hatte zur Folge, dass beim nächsten Diebstahl auch gleich das Schild (vermutlich als Brennmaterial) mitgenommen wurde. 

Mangelwirtschaft
Neue Bekleidung gab es kaum; alte war zum Teil verschlissen oder reparaturbedürftig. Darum wurde sie aufgetrennt, das noch gut erhaltene Stoffteil oder noch nicht verblichene Innere nach außen gedreht, um daraus neue Bekleidung – meistens Kinderkleider - zu nähen, liebevoll mit Streublümchen bestickt. Während gemusterte Bettwäsche hübsche Sommerkleider ergaben, wurden aus `Wehrmacht'-Wolldecken (gute Qualität!) warme Winterjacken oder Mäntel genäht. Was die Strickwaren anbetraf, wurde an Weidezäunen aus Stacheldraht hängengebliebene Schafswolle fleißig gesammelt und zusammen mit alter Wolle versponnen. Alte Pullover rippelte man auf, um daraus Kinderpullover zu stricken. Meistens waren diese bunt gestreift, weil sie aus Wollresten bestanden. An die für die Mädchen gehäkelten und ebenfalls buntgestreiften Glockenröcke, die einen ‚so schönen Fall’ hatten, denkt eine Zeitzeugin mit Schmunzeln zurück. 
Wenn die Ärmel am Ellbogen der Strickwaren schon ziemlich abgenutzt waren, die Innenseite jedoch kaum Gebrauchsspuren aufwies, wurden sie herausgetrennt und entsprechend umgedreht wieder eingesetzt. Auch nähte man von vornherein kleine Lederflecken auf die Ellbogenpartie, um dem Verschleiß dort vorzubeugen. 
Musste der Kragen der Herrenoberhemden ausgewechselt werden, schnitt man aus den Schliepen (unteres Ende der Hemdenpartie) ein entsprechend großes Stück Stoffteil heraus und setzte es dann als Kragen genäht an der Halspartie wieder ein. Das unten fehlende Teil wurde danach aus älteren Oberhemden, die meistens anders gemustert oder von minderer Qualität waren, wieder ersetzt. 
Zusammenfassend kann man sagen, dass sämtliche Möglichkeiten zur Erhaltung und Erneuerung der Kleidung genutzt wurden. Es wurde kaum etwas weggeworfen, sondern geändert, geflickt, gestopft und ausgebessert‚ „was das Zeug hielt!“.
 

Schluss
Bemerkenswert sind die Aussagen einiger Zeitzeugen, nach denen sie die Nachkriegszeit trotz der vielen Entbehrungen und enormen psychischen und physischen Belastungen als eine ‚glückliche‘ beschreiben. 
Man war: 
- erleichtert, keine Todesängste mehr haben zu müssen;
- fühlte sich befreit von dem Druck und Zwang der vorherigen Zeit;
- war dankbar, einigermaßen davongekommen zu sein; hörte man doch von dem vielen Leid anderer
- freute sich, alte Freunde und Bekannte wiederzusehen, die nach und nach ‚aus dem Krieg kamen‘    und sich wieder im Dorf einfanden;
- voller Hoffnung, dass nun bald alles besser werden würde.

Alles in allem: „man weir glückli, as alns vörbi weir!“
 

Aus Wehrmachts-Wolldecken genähte Kindermäntel , Ingrid und Gunda Block

dorf_bilder/Chronik-Hennstedt-75.jpg

Lebensmittelkarten

dorf_bilder/Chronik-Hennstedt-76.jpg

Wie bei Lebens- und Heizmitteln herrschte zum Ende des Krieges auch bei Gebrauchsgegenständen und Bekleidungsstücken großer Mangel. So wurde aus ausgedientem Kriegsmaterial dringend benötigte Bedarfsartikel des täglichen Lebens hergestellt. Auf diesem Foto sind es überwiegend Küchenutensilien, angefertigt aus von feindlichen Flugzeugen abgeworfenen, weil leeren Treibstofftanks. Die Fallschirmseide und die alten Reichsfahnen ergaben brauchbare Bekleidungsstücke.

dorf_bilder/Chronik-Hennstedt-77.jpg